Wie alles begann

– für diejenigen, die es ganz genau wissen möchten –

Bereits portugiesische und spanische Eroberer brachten leibeigene Diener, die aus ihren afrikanischen Kolonien stammten, mit in die "Neue Welt". Das erste Schiff mit 20 afrikanischen Sklaven erreichte 1619 Nordamerika. Seitdem wurden unzählige Afrikaner verschleppt und mit Waffengewalt zum Sklavendienst gezwungen. Es gab nichts, was sie mitnehmen durften und konnten außer Teilen ihrer Kultur - der wesentliche Teil ihrer Kultur war die Musikalität. Die Afrikaner konnten sich z. T. noch nicht einmal untereinander verständigen, da sie bewusst getrennt wurden und aus unterschiedlichen Stämmen mit unterschiedlichen Sprachen kamen. Es gibt viele Berichte, in denen davon erzählt wurde, dass die "negars" auf den Schiffen Lieder sangen: traurige, sehnsuchtsvolle Lieder aber auch mutmachende Melodien. Die Sklaven wurden hauptsächlich als Arbeitskräfte auf Plantagen eingesetzt. Die Anzahl der Afrikaner, die nach Amerika gebracht wurden, kann nur geschätzt werden. Die Geschichtsbücher nennen kurz vor der Zeit des Bürgerkrieges 1861 eine Zahl von 7 Millionen schwarzen Sklaven auf dem gesamten amerikanischen Kontinent.

Das emotionale Singen und das Tanzen der Sklaven bei der Arbeit und bei Versammlungen war wie in afrikanischen Riten ein lebensnotwendiger Ausdruck ihrer Identität. Ein wesentliches Merkmal dieses Gesanges war der "Shout", ein expressiver, gewissermaßen geschrieener Gesangsstil. Auch als "Ring-Shout" bekannt standen die Sklaven dabei im Kreis, tanzten, klatschten und scharrten mit den Füßen ("Shuffle") zu einer rhythmischen Melodie, die im Wesentlichen nur aus einem Rezitationston und einigen Nebentönen bestand.

Ein weiteres Merkmal war das Steigern des Gesanges in immer höher werdende Tonlagen. Bei Männern war das Singen im Falsett in der afrikanischen Tradition ein Zeichen von höchster Potenz. Das Singen fand auch während der Arbeit statt. In den "Worksongs", "Calls" oder "Cries" ging es vor allem um das gleichmäßige Ausführen bestimmter Bewegungsabläufe der Arbeitenden und das Erleichtern von physischer Arbeit durch emotionale "Arbeit", nämlich durch das Singen. Auch das Herbeirufen der Arbeiter zum Essen oder das lautstarke Anbieten der Ware auf dem Markt geschah in dieser halb gesprochenen, halb gesungenen Form. In den Worksongs gab ein Vorsänger den Rhythmus und die Melodie an, die dann von allen anderen aufgenommen wurde. A. M. Dauer nennt auch die afrikanische Anschauung, dass die Kraft herbeigesungen wurde, die die eigentliche Arbeit leistet. Diese Gesänge hatten je nach Tätigkeit verschiedene Namen wie u.a. "Field hollers", "Road songs", "Picking songs" oder "Street cries".

Es gab noch andere musikalische Formen unter den afroamerikanischen Sklaven wie "Folk Songs", "Prisoners Songs" oder "Ballads", aus denen sich der "Blues" entwickelte. Ursprünglich war der Blues ein improvisierter Stegreifgesang, der solistisch ohne Harmoniewechsel gesungen wurde. Textlich ging es im Blues oftmals um das Beklagen und Beschreiben der schlechten Lebenssituation.

All diese Musikformen haben eines gemeinsam: Die aus der afrikanischen Polymetrik stammende starke Rhythmik und die Betonung der "off-beats", der Schläge, die zwischen den Grundpulsen liegen und den Gesang vorantreiben.

Wesentliches Merkmal ist die Erregung, die durch die Gesangsweise hervorgerufen wird und nicht selten zur Ekstase der Singenden führt. Die Sklavenhalter versuchten schon früh die Sklaven nach ihrem weißen Ideal zu „zivilisieren“. Das glaubten sie zu erreichen, indem man die Schwarzen unter anderem zum christlichen Glauben bekehrte. Mithilfe der Bibel wollte man die Sklaven auch zur Unterwürfigkeit erziehen. Ende des 18. Jahrhunderts entstand eine sogenannte Erweckungsbewegung, in der Weiße wie Schwarze in großen Versammlungen bekehrt werden sollten. Bedeutend waren dabei die Methodisten und die Baptisten, die Freiversammlungen ("Camp-Meetings") veranstalteten und viele Menschen zum christlichen Glauben führten.

Warum die Sklaven die weiße Religion so schnell aufnahmen, obwohl sich dadurch nichts an ihrer Situation änderte, ist nicht eindeutig belegt. Die Betonung der Freiheit und der Gleichberechtigung aller Menschenrassen in der Bibel werden häufig als ein Grund angesehen. Ein Beleg dafür können die vielen Sklavenaufstände sein, die von schwarzen Predigern angeführt wurden. Viel stärker noch kommt die Hoffnung auf ein besseres Leben, das "ewige Leben", in den Liedtexten der Gospelsongs zum Ausdruck, so dass gesagt werden kann, dass den Sklaven die christliche Botschaft ein Leben "im Himmel" verhieß, das ihnen eine Hoffnung im unerträglichen Leben auf der Erde gab. Außerdem identifizierten sich die Schwarzen sehr stark mit dem Volk Israel aus dem Alten Testament, dass sich aus der Sklaverei in Ägypten befreien ließ.

Auf den ersten Camp Meetings wurden Psalme und Choräle gesungen. Diese waren langsame und getragene Melodien, die vom Prediger vorgesungen und von der Menschenmenge nachgesungen wurden. Die meisten Schwarzen waren von dieser emotionslosen Musik nicht angetan. Sie begeisterten sich eher für die Lieder von Charles Wesley, dem Begründer der Methodistischen Kirche. Hier wurden fließende und rhythmische Melodien gesungen. Die Sklaven brachten viel Leben in die "white hymns", so dass sich eine Eigendynamik in den Liedern entwickelte.

Auf dieser Grundlage bildeten sich vor allem auf dem Land im Süden Amerikas die "Negro Spirituals" (wörtlich: Geistliche Lieder der Neger). Wesentliches Merkmal ist das aus den Shouts, dem Blues und den Psalmgesängen der Camp Meetings stammende Ruf-Antwort-Schema. Da die wenigsten Sklaven lesen konnten, wurden Liedtexte so eingübt, dass ein Sänger eine Phrase vorsang, die alle anderen nachsangen.

Das Schema fand sich auch, wenn ein Vorsänger Strophen zu einem Lied sang, in das alle anderen beim Kehrvers einstimmen konnten. Dieses Prinzip wird mit dem Begriff "Call & Response" bezeichnet. Die Negro Spirituals wurden einstimmig gesungen. Die Schwarzen übernahmen zunächst die Lieder der Weißen und entwickelten später eigene Melodien und Texte. Hierbei fällt gottesdienstlichen Versammlungen eine besondere Bedeutung zu. Neben festgelegten Liedern gab es Predigten, die, ähnlich wie die Calls und Cries, halb gesungen, halb gesprochen wurden. Sie animierten die Gemeinde zur Teilnahme in Form von Zurufen und Klatschen. Nicht selten entstand ein neues Lied, das sich aus der Predigt entwickelte. Grundsätzlich war jeder Teilnehmer in das Gottesdienstgeschehen einbezogen. Selbst in den Gemeinden, wo es einen Chor gab, diente dieser nur zur Animation, oder er sang im Call & Response Prinzip mit der Gemeinde.

Gemeinsames Singen auf langen Tönen, das als "moaning" bezeichnete Improvisieren war Berichten zufolge ohne jegliche musikalische Vorgabe, wurde rhythmisch frei ausgeführt und fing so unvermittelt an, wie es dann nach stundenlangem Zelebrieren auch wieder verebbte . Ganz allmählich entwickelten sich aus gemeinsamen Improvisationen feste Melodien.

Lieder entstanden spontan aus der Predigt heraus, indem die Gemeinde dem Prediger mit rhythmischen Zurufen antwortete und sich aus einem zentralen Satz der Predigt ein Wechselgesang formte und zu einem Lied wurde. Dabei zeichnete sich die Gesangsweise des Vorsängers durch starke Verzierungen aus.

Ab 1773 wurde den Afroamerikanern die Gründung von offiziellen "Neger-Kirchen" erlaubt. Die Weißen versprachen sich dadurch eine Trennung von den Sklaven, die bis dahin häufig zu ihren Gottesdiensten gekommen waren. Diese Trennung unterstrich die Tatsache, dass das Vorhaben der Weißen, die Sklaven nach ihrem Vorbild zu „zivilieren“, misslungen war. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon eine eigene Musikkultur der schwarzen Christen. Um 1801 wurde erstmals ein Gesangbuch für schwarze Gemeinden veröffentlicht. Die Verbreitung der Lieder fand bis dahin nur durch die mündliche Weitergabe statt. Diese Liedkultur aus Afrika, wo eine Notenschrift nicht bekannt war, wurde auch lange Zeit weiter gepflegt, da die meisten Sklaven nicht lesen konnten.

Die Texte der Lieder waren nicht nur Ausdruck des Glaubens, sondern handelten oft in einer zweideutigen Weise von der politischen und sozialen Situation der Sklaven. Dieses sogenannte "double-talk" ermöglichte den Austausch von geheimen Fluchtbotschaften während des Singens bei der Arbeit. Darin wurde die Freiheit im Himmel gleichgesetzt mit politischer Freiheit. Nach Leroi Jones waren „die autonomen religiösen Versammlungen christlicher Schwarzer der einzige Bereich in ihrem Leben, in dem sie sich emotional wie politisch so frei wie nur möglich ausdrücken konnten.“

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die mehrstimmige Form der Negro Spirituals. Aus der afrikanischen Mehrstimmigkeit, die sich auf parallele Linien zur Melodie beschränkte, wurde ein europäisch geprägtes funktionales Harmonieschema. Auch wurde vielen schwarzen Christen alte Kirchengebäude überlassen. Diese waren von zu groß gewordenen weißen Gemeinden, die sich neue Kirchenhäuser bauten. Die Afroamerikanischen Gemeinden erhielten mit den Gebäuden meistens Instrumente wie Harmonium oder Klavier dazu. Durch die Instrumente bekamen die Gesänge noch größeren Bezug zur europäischen Musizierweise und es wurden erstmals Kirchenlieder von schwarzen Musikern wie Charles A. Tindley komponiert.

In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine ideologische und wirtschaftliche Kluft zwischen den amerikanischen Nord- und Südstaaten, die jeden Lebensbereich umfasste. Die größte Streitfrage zwischen ihnen war die Sklaverei. Während die südlichen Agrarstaaten daran festhielten, war für die industriellen Nordstaaten die Abschaffung der Sklaverei aus wirtschaftlichen Gründen unvermeidlich. Der Streit mündete schließlich in den Sezessionskrieg von 1861-1865 und endete mit der Niederlage der Truppen der Südstaaten. Der Kongress erklärte 1865 die Sklaverei in allen amerikanischen Staaten für abgeschafft.

Viele ehemalige Sklaven wurden arbeitslos. Die allgemeine wirtschaftliche Situation verschlechterte sich deutlich durch den Verlust der billigen Arbeitskräfte. Zahlreiche Hilfsorganisationen versuchten, den Freigelassenen eine Ausbildung zu ermöglichen und gründeten Schulen und Universitäten. Eine von ihnen war die Fisk University von Nashville, Tennessee. Ihr Gründer George White leitete einen kleinen Chor, in dem er mit den schwarzen Studenten Volkslieder und Negro Spirituals sang. Die "Fisk Jubilee-Singers" hatten mit den konzertant gesungenen Spirituals aus der Sklavenzeit großen Erfolg und so gründeten sich mehrere kleine Gesangsgruppen im Stile der Fisk-Jubilee-Singers. Diese Lieder fanden große Verbreitung auch unter der weißen Bevölkerung. Die Leiter der Gruppen, die die Chorarrangements schrieben, waren meistens Weiße. Das führte dazu, dass die charakteristischen Modi der Negro Spirituals in die Richtung der klassischen Musik verändert wurden.

Unterdessen begann eine große Auswanderungswelle aus den ländlichen Gegenden der Südstaaten in die Großstädte. Das hatte zur Folge, dass die Negro Spirituals in den Städten Einzug hielten und mit anderen Formen des Jazz vermischt wurden.

Um 1900 gründeten sich neue sektenartige Religionsgemeinschaften aus einer Bewegung heraus, die den direkten Einfluss des Heiligen Geistes auf den Menschen betonte. Die sogenannten "sanctified churches" oder "storefront churches" wie die "Holy Church of God in Christ" oder die "Pentacostals" veranstalteten Gottesdienste, in denen spontane, geistgegebene Ausdrucksformen im Vordergrund standen. Emotionale Rufe, lautes ekstatisches Zungenreden, improvisiertes Singen und ähnliche Merkmale zogen viele Afroamerikaner an. Letztlich entsprach diese Art des Auslebens ihres Glaubens ihren afrikanischen Ursprüngen.

In dieser Periode gab es viele Gesangsgruppen, die sich "quartets" nannten, obwohl sie meistens aus bis zu acht Mitglieder bestanden. Sie sangen vorwiegend Jubilee Songs, Hymns und traditionelle Spirituals. Beispiele dafür waren "The Hummingbirds" oder "The Harmonizing Four".

Die schwarzen Kirchen versuchten zunächst die Einflüsse des Jazz in ihre Musik zu unterbinden. Sie waren sich der gemeinsamen Wurzeln von Negro Spirituals und anderen Jazzformen bewusst. Jedoch wollte man sich inhaltlich distanzieren vom Jazz, der in Bordellen, Kneipen und Tanzschuppen gespielt wurde. Doch die Entwicklung war nicht aufzuhalten. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts erhielt der Jazz besonders in den Städten Einzug in die immer größer werdenden Kirchen. Hier ist Thomas A. Dorsey zu nennen, der sich als Bluespianist unter dem Namen "Georgia Tom" einen Namen gemacht hatte und in seiner Kirche in Chicago der musikalische Leiter war. Er komponierte vitale, swingend jazzige Lieder und trug sie mit Chor und Jazzband vor. Der Erfolg war so gewaltig, dass viele Gemeinden diesen Stil übernahmen.

Mit dem veränderten Sound änderte sich auch der Name der Musik: Da sich die Texte mehr auf das Neue Testament bezogen (es gab keine Identifikation mehr mit dem versklavten Volk Israel) wurde nicht mehr vom Negro Spiritual sondern vom "Gospelsong" gesprochen.

Es gab im Amerika der 30er Jahre eine Unmenge von Gospelsängern und Gospelgruppen. Die bekannteste Gospelsängerin war Mahalia Jackson, die 1947 mit "Move On Up A Little Higher" einen Kassenhit landete und damit die Verbreitung der Gospelmusik vorantrieb.

Die Quartets sangen auch in diesem neuen Stil und ließen sich immer mehr von Instrumenten begleiten. Ihre Konzerte waren der Motor zur Verbreitung der Gospelmusik. Das bekannteste Quartet, dass später die Musik auch nach Europa brachte, war das "Golden Gate Quartet".

Mit der Gospelmusik verband sich weiterhin politisches Gedankengut, denn die schwarzen Gottesdienste blieben auch in den 50er Jahren ein Ort, in dem sich die Afroamerikaner so frei wie nirgends sonst ausdrücken konnten. Für den Austausch politischer Gedanken und Diskussionen war die Kirche der wichtigste Versammlungsort. Bürgerrechtsbewegungen gründeten sich häufig innerhalb der afroamerikanischen Kirchen, wie die größte Friedensbewegung ab 1955 unter dem Pastor Martin Luther King.

Heutige Situation

Heutzutage gibt es die verschiedensten Formen afroamerikanischer Kirchenmusik. Je nach Geschichte und geographischer Lage reicht das Spektrum von Gemeinden, die die Tradition der Negro Spirituals pflegen bis zu Kirchen, die die europäische Musik ganz übernommen haben.

Je nach Region entwickelten sich andere Formen von Gospelmusik in der Synthese mit anderen Musikstilen, beispielsweise der Country- und Dixieland-Musik oder in neusester Zeit mit Rap und Hip-Hop-Elementen.

Es gibt Gospels auf Schallplatten und Radiostationen, die ausschließlich Gospel senden. Der amerikanische Markt für Gospels ist in etwa vergleichbar mit dem Markt für Pop oder Country Music und viel größer als der für Blues oder Jazz. Auch in der Kirchenmusik Europas ist die Gospelmusik durch Gospelchöre in einzelnen Gemeinden wichtiger Teil des Gemeindelebens geworden.

Viele Rock-, Pop- oder Hip Hop Hits aus Radio und Fernsehen borgen sich Elemente aus der Gospelmusik aus oder sind gar moderne Interpretationen lange bekannter Gospelsongs (z. B. Caravan of Love von den Housemartins). Kinofilme wie Sister Act oder Preacher’s Wife tragen sehr zur Popularität der Gospelmusik bei.

Stil

Die Gospelmusik hat viele unterschiedliche Facetten. Je nach Kirchengemeinde ist diese Musik mit verschiedenen Merkmalen behaftet. Es gibt jedoch Elemente, die stilbildend sind und für die diese Musikrichtung bekannt wurde. Ich werde die wichtigsten Stilmerk-male aufzählen.

Gemeinsam haben die meisten Gospelsongs, dass sie Gesangsstücke sind. Allerdings gibt es jüngerer Vergangenheit auch rein instrumentale Gospelaufnahmen. Da es besonders um verbale Botschaften in den Liedern geht, werden diese solistisch oder chorisch vorgetragen.

Lautes, emotionales und mit vielen Verzierungen angereichertes Singen mit einer ungeheuren Expressivität sind die wesentlichen Merkmale des Gesangs.

Der allgemeine Klang der Gospelmusik ist als positiv, optimistisch und fröhlich zu bezeichnen. Die Texte in den Liedern handeln vom Loben, Danken und von der Hoffnung, die aus dem Glauben an Gott entspringt. Musikalisch passend dazu sind schnelle wie langsame Stücke in ihren Grundzügen fröhlicher Natur.

Die Fröhlichkeit ist aber keineswegs oberflächlich zu nennen sondern entstammt einer großen Leidensgeschichte von der Sklavenzeit bis heute. Der positive Ausdruck in den Gospelsongs ist somit eine tiefe innere Erfüllung der Singenden mit Freude und Hoffnung. Den meisten schwarzen Gospelchören wird aus diesem Grund eine große Authentizität bezüglich der Liedinhalte mit ihrer emotionsgeladenen Performance nachgesagt.

Das kommunikative Prinzip der Negro Spirituals mit dem Call & Response sowie das Entwickeln von Liedern aus den Predigten blieben in den Gospelsongs erhalten. Ob Pastor mit Gemeinde, Solist mit Chor oder Band mit Sängern, fast immer findet sich in den Liedern das Prinzip der Wechselgesänge.

In den Kirchen der 30er Jahren wurde auch nach dem Muster der Ring-Shouts getanzt. Die ekstatischen Phasen im Gottesdienst wurden unter dem treibenden Rhythmus der Instrumente stärker und länger. Zur Formation von Klavier, Orgel, Schlagzeug und Bass kamen auch häufig Gitarre, Blasinstrumente und vor allem der Schellenkranz. Letzterer verstärkte den Grundpuls, der sich zum off-beat auf den Zählzeiten 2 und 4 reduziert hatte und das treibende Element in der Musik verstärkte. Stilbildend wurde das gemeinsame off-beat-Klatschen der ganzen Gemeinde bei schnellen Stücken.

Die Lieder waren sowohl in binären wie ternären Rhythmen gehalten, wobei ,,groovige Stücke im binären Achtelrhythmus überwogen und - parallel zur Entwicklung der Beat- und Rockmusik - immer häufiger zu finden waren.

Die afrikanische Melodik war in den originalen Ring-Shouts, Worksongs und Negro Spirituals noch weitgehend erhalten. Die afrikanischen Modi lassen sich mit unserem europäischen Tonsystem nicht erfassen, da die Intonation von unserem Tonsystem abweicht. Im Verlauf der Vermischung der Musikkulturen erwuchsen daraus Pentatoniken und die ,,blue notes.

Die Pentatonik ist eine halbtonlose Skala, die weder Dur noch Moll kennt und nahezu in allen Kulturen der Welt anzutreffen ist. Auf C beginnend würden die Töne C D E G A heißen. Man kann diese Skala mit jedem Ton beginnen. Ein weiteres Charakteristikum sind die Blue Notes. Es handelt sich hierbei um die "blue third", "flatted fifth" und die "blue seventh". Das sind Tonleitertöne, die etwa einen Viertelton tiefer liegen, als es das europäische Tonsystem vorsieht. Am häufigsten tritt die "blue third" auf. In der deutschen Sprache wird sie als Blues-Terz bezeichnet. In C-Dur hieße das: Das e' ist etwas tiefer als es die reine Intonation vorsehen würde. Aber auch jeder andere Ton kann etwas zu tief oder durch ein Hineingleiten von unten ,,blue klingen.

Die Blue Notes werden meistens zusätzlich zur "normalen" Tonleiter gebraucht und je nach Phrase eingesetzt. In einem Erlebnisbericht erzählt James Lincoln Collier: "The exhorting preacher breaks into song at points in the sermon, typically using a melody that begins on the fifth and then descends through a blue fifth and blue third to the tonic."

Diese Melodik wurde besonders stark im Blues und im Gospel von Sängern, Bläsern und Gitarristen benutzt. Pianisten, die die Intonation des Klavieres nicht verändern können, bedienen sich sogenannter Cluster oder Vorschläge. Durch das gleichzeitige Spielen von reinen Tönen und einer kleinen Sekunde darunter entsteht ein ähnlicher "blue" oder "dirty" Klang. Diese Vorschläge werden in Anlehnung an die Pianisten auch häufig von Bläsern gespielt.

Europäische Kadenzen bildeten nicht die harmonische Grundlage bei den alten schwarzen Gesängen sondern meistens nur ein tonales Zentrum im Sinne einer Tonika. Später gab es den Wechsel mit der Subdominante und gelegentlich erschien auch die Dominante. Die frühen Bluesschemata bestanden hauptsächlich aus Tonika und Subdominante, bis sich um 1912 die heutige 12-taktige Form entwickelte, in der Tonika, Subdominante und Dominante ihren festgelegten Platz haben.

Aus dem Wechselspiel zwischen Tonika und Subdominante entstanden im späteren Gospel und im Blues bestimmte Motive (sogenannte Riffs), die Gitarristen und Pianisten aufgriffen und auch für den Boogie-Woogie stilbildend waren. Diese Akkordwechsel werden als plagale Kadenz oder umgangssprachlich als „amen chords“ bezeichnet.

Es gab gegenüber dieser sehr ursprünglichen schwarzen Musik eine weitergeführte Art der Gospelmusik, die auf einem Harmonieschema aufgebaut war, die als "close harmony" bezeichnet wird. Close Harmony, die sich aus dem traditionellen europäischen System herleitet, benutzt skalenartige Melodien über Harmonieschemata mit Zwischen-dominanten. Diese Art von Harmonik benutzten Gospelgruppen in der Tradition der Fisk Jubilee Singers, wie z.B. das Golden Gate Quartett. Im Gospelsong der 30er Jahre wurde die Jazzharmonik (d.h. die Harmonik des Blues und des Swings) einbezogen. Durseptakkorde nicht nur in der Dominante, Turnarounds, Optionstöne in Akkorden und die Jazzmelodik wurde in die traditionelle Musik eingewebt.

Die Harmonik und Melodik ist in der Gospelmusik vom Blues kaum zu unterscheiden. Die Musikforscher sind sich einig, dass der Gospelsong im Grunde den Blues mit religiösen Texten darstellt oder umgekehrt der Blues die weltliche Form der Gospelmusik ist.

Der Bluessänger T-Bone Walker schrieb: "Natürlich kommt auch vieles im Blues aus der Kirche. Den ersten Boogie-Woogie meines Lebens habe ich in der Kirche gehört."

In der Gottesdienstpraxis wurden die spontanen Zurufe der Gemeinde verstärkt durch Kommentare der Band. Die gesprochene Predigt unterlegte die Band auch häufig mit leisen Harmonien, ostinaten Linien ohne Harmoniewechsel oder spielte die 16-taktige Grundform.

Langsame Gospelstücke findet man meistens mit triolischen Unterteilungen der Viertel, sowie im 3/4 bzw. 6/8-Takt, wie in der bekanntesten Komposition von Thomas A. Dorsey, Precious Lord, Take My Hands. Vermutlich werden die Dreiertakte deswegen gebraucht, weil sie fließender sind als binäre Takte und in langsamen Tempi nicht statisch wirken sollen. In ihnen können sich die Gemeindemitglieder im Takt wiegen oder sogar tanzen.

Als "Gospel-Ending" bekannt, ist der Schluss eines Liedes mit Subdominante und Tonika (im Gegensatz zur Dominante als Leitakkord zur Grundtonart.) Meistens singt der Vorsänger auf ausgehaltenen Akkorden eine improvisierte Kadenz.